Unbelehrbar: Die Reaktionen Radovan Karadzics Erben auf sein Urteil

Wie zu erwarten war, nehmen die politischen Erben Radovan Karadzics sein Urteil im Gegensatz zum Rest der bosnischen aber auch internationalen Gemeinschaft nur mit Ablehnung und Kritik an.
Der internationale Strafgerichtshof hat mit Karadzic eine weitere Schlüsselfigur der damaligen bosnisch-serbischen Elite aus Politik und Militär furchtbarer Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und des Völkermordes während des Bosnienkriegs 1992-1995 schuldig gesprochen. Die Rede war von einer verbrecherischen Vereinigung, deren Ziel es war die nicht-serbische, insbesondere also die bosniakische und kroatische Bevölkerung Bosnien-Herzegowinas zu vernichten oder zu vertreiben.


Zur Vorgeschichte:


Dies deckt sich mit dem erklärten politischen Ziel der serbischen Kriegspartei in den Jugoslawienkriegen einen homogenen Staat für alle Serben zu schaffen, der auch Gebiete in Bosnien-Herzegowina und Kroatien einschließen sollte. Ebenso wie die mittlerweile detailliert dargelegte Unterstützung für die serbischen Kriegsparteien in Bosnien und Kroatien durch den damaligen serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic, leugneten die meisten Täter stets das Ausmaß der Gewalt und Planung, zu dem man zur Erreichung dieses Zieles bereit war. Alleine schon wegen der höchst heterogenen Bevölkerungsverteilung in Bosnien und vielen bosnischen Städten vor dem Krieg, waren diese Ziele nicht ohne Methoden zu erreichen, die später als „ethnische Säuberungen“ bekannt wurden.
Die Teilung und Unmöglichkeit eines multiethnischen Zusammenlebens wurde von der serbischen Seite (der selbstverständlich nicht alle bosnischen Serben blind folgten) mit Karadzic an der Spitze schon vor Beginn des Krieges propagiert. Karadzic drohte im Parlament, die Muslime könnten sich im Krieg nicht wehren und warnte vor ihrem „Verschwinden“. Er erteilte der Demokratie eine Absage, indem er zu einem Boykott des Volksentscheides über die Unabhängigkeit aufrief und öffentlich verlautbarte, die Mehrheitsverhältnisse in Bosnien interessierten ihn nicht, da niemand das serbische Volk dominieren dürfe.
Wie zuvor in Kroatien wurde nun auch in Bosnien ein unabhängiger serbischer Staat, die „Republika Srpska“, ausgerufen.
In Bosnien fanden seit 1992 konstant jene Verbrechen statt, die im Prozess Karadzic und zahlreichen weiteren detailliert dargelegt und nachgewiesen wurden. Die Rolle der internationalen Gemeinschaft und der in Bosnien stationierten UN-Friedenstruppen wird häufig mit der eines „unbeteiligten Zuschauers“ verglichen. Das Spannungsverhältnis zwischen dieser Unentschlossenheit und internationalen Zerstrittenheit über eine Bosnien-Politik und der Radikalität und Bereitschaft zu Verbrechen der serbischen Kriegspartei fand im Völkermord von Srebrenica im Juli 1995 seinen traurigen Höhepunkt. Obwohl NATO-Luftschläge schon lange vorher diskutiert worden waren, geschahen sie in bedeutendem Ausmaß erst nach Srebrenica und einem weiteren Granateneinschlag auf einem belebten Marktplatz in Sarajevo. Erst durch schwere militärische und territoriale Verluste war die serbische Seite zu Verhandlungen und einer politischen Lösung bereit, wohl um nicht auch noch den Rest ihres Gebietes militärisch zu verlieren. 1993 war der Vance-Owen-Plan noch abgelehnt worden, nachdem der General der bosnischen Serben, Ratko Mladic, der aktuell ebenfalls wegen Kriegsverbrechen in Den Haag vor Gericht steht, vor den bosnisch-serbischen Abgeordneten, die über den Plan abstimmen sollten, das Bild eines Betruges am serbischen Volk und eines Verlustes ihrer heldenhaft erkämpften Gebiete bei Annahme des Planes zeichnete.
Gestärkt von den NATO-Bombardements versuchten Bosniaken und Kroaten, die nach kroatischen Gebietsansprüchen in Bosnien kurzzeitig untereinander Krieg führten und nun auf Druck der USA wieder verbündet waren, den serbischen Staat im Staat, wie es zuvor bei seinem kroatischen Pendant, der „serbischen Republik Knin“, gelungen war, militärisch zu zerschlagen.
Aus Angst vor Racheakten, Flüchtlingswellen und einer erneuten Verkomplizierung des Krieges durch ein offenes Eingreifen Serbiens stoppte die NATO unter Federführung der Amerikaner diese Rückeroberungen und die internationale Gemeinschaft drängte auf die Unterzeichnung des Dayton-Abkommens. Dieses lässt Bosnien als Gesamtstaat existieren, jedoch in Form eines politischen Konstruktes, das als eines der kompliziertesten weltweit bezeichnet wird. Neben dem Gesamtstaat bleibt nämlich auch die Republika Srpska mit vielen eigenen Vollmachten als eine von zwei sogenannten „Entitäten“ bestehen. Eine De-Facto-Teilung, die keine sein soll. Die militärische Einmischung der NATO hatte nie das Ziel die Republika Srpska zu vernichten. Dass Izetbegovic ein multiethnischen Bosnien schaffen würde, glaubte man dementsprechend offenbar auch nicht. Man wollte lediglich ein "ausgewogenes Kräfteverhältnis" schaffen. Eine dieser Kräfte blieb schließlich der Aggressor und so verschwand auch seine Ideologie nie. Praktisch wurden die Gebietsgewinne im Krieg belohnt und legitimiert. Viele Orte mit ehemals nicht-serbischer Mehrheitsbevölkerung wie Srebrenica fielen damit  (nicht zuletzt durch den Tausch von Territorien) auch für die Zeit nach dem Krieg in die Hände der politischen Erben Karadzics, die ihm in Sachen Propaganda und realitätsferne im Weltbild in nichts nachstehen. Ein Rückgängigmachen der ethnischen Säuberungen wurde endgültig unmöglich und die serbischen Politiker ließen fortan keine Möglichkeit ungenutzt ihr politisches Gewicht einzusetzen, um Veränderungen auf gesamtstaatlicher Ebene zu blockieren. Jenes Gesamtstaates, den sie nach wie vor nicht ernsthaft anerkannten. Neben der Korruption in so gut wie allen Parteien, besonders den drei großen nationalen, ist dies ein Grund für den weitgehenden wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Stillstand Bosniens. In der Republika Srpska sind Bemühungen um Aufarbeitung dementsprechend äußerst unpopulär. Von (para)staatlicher Seite herrscht weiterhin eine Kultur des Verleugnens. Die Gründe und Verantwortungen für den Krieg reimt man sich mithilfe absurder Verschwörungstheorien zusammen. Die anderen Kriegsparteien, dunkle ausländische Mächte wie die CIA, unorganisierte Einzeltäter trieben das serbische Volk in eine Opferrolle. An vielen Orten sucht man nach der Schuld, nur nicht bei den Gründervätern des eigenen Staatskonstruktes, die häufig noch immer als Helden verehrt werden. Muslime hätten an Opferzahlen gemessen vergleichbare Verbrechen begangen, sie hätten sich massenhaft selbst beschossen und granatiert, um die internationale Gemeinschaft zum Handeln zu bewegen, in Srebrenica wären tote Serben als Muslime vergraben worden. Die Theorien sind zahlreich. Keine kann jedoch mit starken Argumenten wie Gerichtsurteilen, DNA-Analysen der internationalen Kommission für vermisste Personen, massenhaften, glaubhaft übereinstimmenden Zeugenaussagen, Dokumenten, Analysen von Regierungen, Nichtregierungsorganisationen und anderen Experten untermauert werden, wie es bei der Wahrheit der Fall ist, aufgrund derer Karadzic und zahlreiche weitere verurteilt wurden. Der einzige Grund ihrer Existenz bleibt der Wunsch zur Aufrechterhaltung einer nationalistischen Geschichtsrevision im Interesse der Festigung von Macht oder zur Beruhigung des eigenen Gewissens.
Auch dieses weitere Urteil kann die radikale Verblendung einiger Anhänger der großserbischen Ideologie nicht beenden.
Nachdem immer mehr Gründerväter und frühe Kämpfer der Republika Srpska verurteilt werden, werden die schon lange vernehmbaren Rufe nach einem generellen Umdenken über die Legitimität dieses Staatskonstruktes und der Dayton-Verfassung immer lauter.
Milorad Dodik, aktueller Präsident der Republika Srpska und beispielhafter Vertreter oben genannter Gewohnheiten, der eine Zeit lang sogar als Entlastungszeuge für Karadzic fungieren wollte, erkannte dies bald als Gefahr und steuert schnellstmöglich entgegen.


Konkrete Reaktionen:


Die Republika Srpska (RS) wäre nie entschlossener gewesen ihre Rechte zu verteidigen und kein Gerichtsurteil könnte die Stärke der RS antasten, verlautbarte Milorad Dodik.
Er warnt davor, dass das Urteil instrumentalisiert werden könnte, um die Republika Srpska „anzugreifen“ und spricht wenig konkret von serbischen Opfern, die niemals beachtet worden seien, sowie von einem "Klischee der Schuldzuweisung".
Zudem nannte er es bemerkenswert, dass das Urteil am Jahrestag des Beginnes des NATO-Bombardements auf Belgrad ausgesprochen wurde.
Dragan Čavić, der ehemalige Präsident der RS, betonte, das Urteil sei ein individuelles, gelte nicht der RS und seinen Institutionen. Institutionelle Veränderungen sollen nicht erwartet werden.
Auch von anderer Seite werden die Beweise oder die gesamte Legitimität des Gerichtes angezweifelt.
Mladen Bosic, heutiger Vorsitzender Karadzics ehemaliger Partei SDS, beklagte alle Opfer des Krieges, besonders die, die „sein eigenes Volk“ zu verantworten hätte.
Dennoch nannte er das Gericht politisch befangen, das Urteil ungerecht und beklagte, dass nicht auch die Eliten der anderen Kriegsparteien verurteilt worden sind, die er traditionell für Mit- oder sogar Hauptschuldige hält. Er versuchte dies ebenfalls mit nicht weiter ausgeführten Verbrechen gegen Serben zu untermauern, die nicht verfolgt worden seien. Er hoffe außerdem, dass das Urteil im Berufungsverfahren rückgängig gemacht werde. Radovan Karadzics Bruder Luka hatte ebenfalls vor dem Urteil einen Freispruch gefordert, zahlreiche seiner ehemaligen Wegbegleiter begrüßten den Freispruch in einem der beiden Völkermord-Anklagepunkte oder nannten die Haftstrafe von 40 Jahren zu hoch.
Häufig vernimmt man auch die Theorie, Karadzics Verurteilung für den Völkermord in Srebrenica sei nur aufgrund eines einzigen verschlüsselten Telefonates gefällt worden. Dies stellt allerdings ebenfalls eine verkürzte Interpretation dar, die andere Beweise außer Acht lässt, die zwar nicht explizit im Urteilspruch erwähnt wurden, allerdings dennoch existieren.
Im Gegensatz dazu nannte die serbische Menschenrechtsaktivistin Nataša Kandić das Urteil rechtmäßig für die Opfer und die Täter und stellte die Frage nach den Konsequenzen, die sich daraus für die Republika Srpska ergeben sollten. Wie viele andere zog sie Parallelen zur Aufarbeitung des Holocaust durch die deutsche Nachkriegsgesellschaft und bewertete diesen Prozess als vorbildlich, konnte jedoch bis heute keine vergleichbaren Anstrengungen in der RS verorten.
Aleksandar Popov, Vorsitzender der Igman-Initiative, deren Ziel die Normalisierung der Verhältnisse zwischen den Kriegsparteien sein soll, mahnte, dass das Urteil die fragile Lage in Bosnien nicht erschüttern dürfe.

In Belgrad organisierte derweil Vojislav Seslelj, ehemaliger serbischer Freischärler-Führer, der stolz davon sprach, dass die militärischen Aktionen in Belgrad geplant wurden und der ebenfalls in Den Haag prozessiert wird, aktuell aber keinerlei Anstalten macht aus einem Hafturlaub zurückzukehren, eine große Pro-Karadzic-Demonstration.

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