Covidioten vs. Schlafschafe - Ein Vermittlungsversuch


Häufig liest man in diesen Tagen Kommentare, die sich beschweren, dass die Berlin-Demos alle über einen Kamm geschert würden. Rechtsextreme seien nur am Reichstag und der russischen Botschaft gewesen, alle anderen nur friedensbewegte Familien, die gesamte Demo sollte aber verboten und im Nachhinein delegitimiert werden.

Zuerst lässt sich feststellen, was schon am Samtag viele getan hatten: Die Gewaltenteilung hat funktioniert, Berlins Innensenator Geisel hat dies in den Tagesthemen akzeptiert (trotz klar formulierter politischer Haltung gegen die Rechten in der Demo) und von gewaltsamen Auflösungen abgesehen, die Demos haben stattgefunden - auch wenn sie teils aufgelöst wurden, dann wurden aber neue genehmigt, die Leute konnten und haben also demonstriert. 

Sieht man sich nun die Videos an, erkennt man überall, nicht nur an den beiden genannten Orten, zumindest vereinzelt rechtsextreme Symbole. 

Hier folgt das Argument "man kann nicht kontrollieren, wer auf die Demo kommt".
Das stimmt zwar, man könnte aber zumindest reagieren. Man hätte im Vorfeld reagieren können, als die gesamte rechte Szene mobilisiert hat, man hätte von Orgaseite klare Statements bringen können vor und während der Demonstration, man hätte auf der Demonstration OrdnerInnen auftragen können, die Leute mit entsprechenden Symbolen anzusprechen, jedeR Demonstrierende hätte dies tun können, das alles ist offenbar nicht ausreichend geschehen. Stattdessen bemüht man sich, "den Medien" wieder alles in die Schuhe zu schieben, oder zu verleugnen, dass Rechtsextreme überhaupt auf der Demo waren, bzw. ihre Anzahl herunterzuspielen. Eine glaubwürdige Abgrenzung sieht anders aus. Wieso gibt es etwa bei einer Fridays for Future Demonstration keine Reichsflaggen, auch wenn Rechte sich ebensogerne über den Umweltschutz profilieren und man ja nicht kontrollieren könnte, wer kommt? Ein User schrieb: Weil Rechte dort hingehen, wo man sie willkommen heißt, oder wo sie sich sicher fühlen.

Hier muss man ergänzend konstatieren, dass viele Demonstrierende, die nicht sofort als rechtsextrem auffallen, diese Abgrenzung auch gar nicht wollen werden, weil die Weltbilder genügend Überschneidungen bieten. Sieht man sich die einschlägigen youtube-Channel an, hört man die Reden und sieht man die Interviews einzelner TeilnehmerInnen sind die, weit über Corona hinausgehenden, Gemeinsamkeiten bei den selbsternannten QuerdenkerInnen: Der Glaube an die Existenz eines tief korrupten Systems bis hin zu Geheimregierungen, einer Lügenpresse, die damit quasi gleichgesetzt wird, Linke als Feindbild (jedenfalls politisch im Unrecht, im schlimmsten Fall "die wahren Faschisten"), Esoterik und schließlich ein bunter Strauß an Verschwörungstheorien, deren Absurdität keine Grenzen kennt. Wer kommt da als fast natürlicher Bündnispartner infrage, der all dies auf die ein oder andere Weise teilt oder traditionelle Bezüge aufweist (etwa auch zur Esoterik)? Richtig, Rechtsextreme. Im Internet lässt sich längst rekonstruieren, wie der Weg vom "querdenken", über Verschwörungstheorien und immer hasserfülltere Ideologien schließlich in den rechten Sumpf führt und am Ende Migranten, Volksverräter und Juden die Sündenböcke sind (siehe z.B. die "Führungsfiguren" Hildmann und Naidoo). Viele TeilnehmerInnen scheinen in ihren mehr oder weniger deutlich formulierten Weltbildern zumindest in diese Richtung zu tendieren und sind offenbar so absorbiert von den großen Versprechungen und den Gruppendynamiken, dass sie partout nicht sehen wollen, wie gefährlich das ist.

Wer also auf der Demo in Berlin mit diesen Menschen mitgelaufen ist, muss sich Kritik gefallen lassen, auch das ist selbstverständlich Meinungsfreiheit. Man soll natürlich differenzieren, wer da auf einer Demo war und ob es eine gewisse Heterogenität gab, das ist aber letzlich auch nur begrenzt möglich. Mehr als "bunte Mischung, aber mit Rechtsextremen", wie es in den Tagesthemen zu hören war (wo übrigens amüsanterweise die Kritik live bestätigt wurde, als "Volkverräter" und "Lügenpresse" in die Kamera gebrüllt wurde), kann man nicht sagen. Eine finale Einschätzung zur Frage "wer waren diese Leute eigentlich und was wollten sie, was ist ihr gemeinsames Ziel?" fordert die Öffentlichkeit. Wenn also alles oben beschriebene zutrifft, dann wird einem die Solidarisierung mit demokratiefeindlichen Akteuren zurecht anhaften, wenn man auf dieser Demo war, auch wenn man vielleich nur Existenzängste vor einem zweiten Lockdown hat.

Sollen damit das Demonstrationsrecht unterbunden, eine hegemoniale Deutung der Covid19-Pandemie erzwungen oder solche Exiszenzängste delegitimiert werden? Nein. Diese Krise trifft Menschen sehr unterschiedlich und auch in der wissenschaftlichen Community ist man sich, aufgrund der weiterhin unübersichtlichen oder lückenhaften Datenlage, nicht gänzlich einig. Es gibt soetwas wie einen Mainstream, der die Maßnahmen angemessen findet und weiter empfiehlt, aber es gibt auch AbweichlerInnen wie Iaonnidis, Spelsberg oder Keil, die glauben sie könnten jetzt schon eine geringere Todesrate errechnen. 

Fänden sich neue Akteure zusammen, die sich auf Corona konzentrierten und auf diese Ergebnisse stützten, von eigenen, fehlerhaften Rechnungen und Schlussfolgerungen absähen und verlautbarten, dass man die Nebenfolgen des (mittlerweile auch größtenteils aufgehobenen) Lockdowns für Wirtschaft und gefährdete Menschengruppen für unverhältnismäßig hält, während sie sich klar von Rechten und absurden Theorien abgrenzten, dann würden sie zwar immernoch kritisiert werden, weil viele die Maßnahmen mit guten Argumenten für lebensrettend halten, aber sie würden anders gehört und eingeschätzt werden, als nachdem sie mit Menschen auf die Straße gegangen sind, die eine Revolution und Volkstribunale nach der Machtübernahme fordern.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

30 Jahre Bosnienkrieg - Gedenktage und internationale Konferenz in Sarajevo

30 Jahre Unabhängigkeit Bosniens - Wiederholt die Welt ihre Fehler in der Ukraine?

Rassismus-Kritik gegen WDR: Über das Reden, wenn man zuhören sollte