Zum politischen Einsatz von Sachbeschädigung



Neuerdings wird wieder einmal die alte Frage diskutiert, wie viel Entschlossenheit, wie viel Aktion und im Zweifel, wie viel Gewalt eingesetzt werden darf, um Menschlichkeit politisch durchzusetzen.
Anlass ist die gestrige Aktion des Zentrums für politische Schönheit in Berlin, bei der vor dem Bundestag ein symbolisches Gräberfeld ausgehoben wurde.
In den (sozialen) Medien gibt es viel Lob, doch häufen sich auch die Stimmen, die sich vor allem auf die in ihren Augen unnötige und kontraproduktive Beschädigung des Rasens berufen, die Steuergeldverschwendung wittern und den Aktivisten Vandalismus vorwerfen.

Diesen Stimmen möchte ich hiermit antworten.

Wir leben in einem hochentwickelten Industrieland, welches wirtschaftlich, politisch und militärisch in der ganzen Welt aktiv ist.
Einige dieser Aktivitäten führen leider bei einigen Menschen, besonders in weniger entwickelten Ländern, zu ernsthaften Gefahren für Leib und Leben, für Sicherheit und Würde.
Ob dies nun auf den Willen von kurzsichtigen, opportunistischen bzw. egoistischen Wählern und Politikern, oder auf den Druck von etlichen Lobby-Organisationen geschieht, möchte ich hier nicht diskutieren.

Fakt ist, dass die Bundesregierung beispielweise Agrarfirmen subventioniert, die für den wirtschaftlichen Ruin von Kleinbauern in Entwicklungsländern sorgen.
Fakt ist, dass europäische Firmen überall auf der Welt, teils unter ausbeuterischen Bedingungen, Bodenschätze fördern oder produzieren lassen, was der dort ansässigen Bevölkerung oft jedoch nur in geringstem Maße (nicht oder kaum Existenzsichernd) zugute kommt, in vielen Fällen sogar ökologische Mehrkosten verursacht.
Fakt ist, dass durch Auslandseinsätze der deutschen Bundeswehr und den durch sie unterstützten Kräften unbeteiligte Zivilisten ums Leben kamen.
Und Fakt ist auch, dass sich Europa militärisch abriegelt, dass Deutschland auf diese Entwicklung seit Jahren drängt, Druck auf südeuropäische Länder ausübt und afrikanische Regimes finanziell unterstützt, die schwere Menschenrechtsverletzungen an Flüchtlingen begehen, beispielsweise in Marokko.

Nun ist Deutschland ein demokratisches Land. Repräsentativ demokratisch. Die Bürger wählen eine Regierung, die in ihrem Namen handelt.
Es gibt auf Bundesebene keine direkte Demokratie.
Aus diesem Grund sind in der Verfassung die Versammlungs- und Demonstrationsrechte besonders stark verankert.
Die Bürger sollen eine Chance haben, ihre politischen Ansichten und Wünsche direkt zu äußern, also ein Zeichen an die Politiker senden, damit diese sich den Wünschen der Bürger annehmen und sie umsetzen.

Nun findet man sich wieder.
Als empathischer, an Frieden und sozialer Gerechtigkeit, an Solidarität und Toleranz interessierter Bürger und hört von den oben genannten Aktivitäten, für die sich die Bundesregierung verantwortlich zeigt.
Fühlt man sich repräsentiert?
Natürlich nicht.
Will man ein Zeichen senden, was man lieber sehen würde?
Natürlich.

Und hier beginnt es heikel zu werden.

Einige Bürger sind so empört und so wütend, dass sie diesen Zeichen den größtmöglichen Nachdruck verleihen möchten, in der Hoffnung, dass sie die Politiker so "wachrütteln" können.
Vielleicht ist es auch Hilflosigkeit, da man so starkes Unrecht fühlt, sich gleichzeitig aber so alleine.
Man sieht um sich herum desinteressierte, an Wohlstand gewöhnte Mitbürger, die sich nicht für das Leiden anderer Menschen interessieren, die im Zweifel sogar Hass hegen gegen Menschen, die nicht aus Deutschland kommen, die einfach nur zu sehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt sind, um sich für andere zu engagieren oder aber, die von den Problemen noch nie gehört haben.

Und in dieser aussichtslosen Situation greifen einige zur Gewalt. *
Da werden Gebäude, Polizisten oder andere Feindbilder, Fahrzeuge oder im schlimmsten Falle einfach alles, was gerade in der Nähe ist, zur Zielscheibe der Gewalt, meist gerechtfertigt durch wilde Theorien, die die Gegenstände oder Menschen in Verbindung zur ursprünglichen Quelle der Unzufriedenheit setzen.

*(die immer wieder beschworenen Teilnehmer, die angeblich nur auf Demos gehen, um Gewaltphantasien auszuleben, denen es gar nicht um politische Botschaften gehen soll, blende ich hier einmal aus, weil eine differenzierte Auseinandersetzung damit den Text unnötig verlängern würde)

Dass ein solches Verhalten nur kontraproduktiv sein kann, liegt für mich auf der Hand.
Nicht ein verletzter Polizist, nicht eine zersprungene Fensterscheibe oder ein brennendes Auto werden oben genannte Zustande verändern.
Sie können nur die vorher untätigen Bürger erzürnen, die potentiellen Sympathisanten und produktiven Geister fernhalten und Steuergelder sinnlos vergeuden.

Eine viel sinnvollere Alternative ist da auf andere Weise Aufmerksamkeit zu schaffen und Botschaften zu versenden.

Auch friedliche Demonstrationen, Petitionen, Briefe an Politiker, Medienberichte, Posts, Bücher, Podiumsdiskussionen, Lieder, Filme, Theaterstücke und vieles mehr schaffen diese Aufmerksamkeit und können einen politischen Wunsch beinhalten.

Doch für einige der oben genannten empathischen Bürger ist das nicht genug.
Sie empfinden die Entwicklungen als zu langsam, glauben nicht, dass sich Akteure mit handfesten wirtschaftlichen Interessen von "Gerede" überzeugen lassen werden, einige sind sogar mit ihrem Vertrauen in repräsentativ-demokratische Prozesse am Ende.

Doch Gewalttäter und sinnlose Vandalisten wollen sie ebensowenig sein.

Und hier kommen lückenfüllende Aktionen wie die gestrige des ZfpS' ins Spiel.

Ja, es wurde Sachbeschädigung begangen und ja, es werden Steuergelder dafür ausgegeben werden müssen, um diese Beschädigungen zu beseitigen.

Aber anders als in oben genannten Fällen sind dies gut durchdachte Aktionen, die den Einsatz dieser Beschädigungen abwägen, die keine spontanen Impulse sind.
Ein entschlossenes Handeln wurde schon im Namen der Demonstration angekündigt.

Der empathische, humanistische Bürger erkennt irgendwann, dass er nur durch Aufmerksamkeit Veränderungen bewirken kann. Nicht indem einige wenige Gewalt ausüben , sondern indem durch geeignete Aktionen eine Masse mobilisiert wird.


Dass seine Waffen weder Steinen noch Gewehre, sondern öffentlicher Druck sind.
Nur indem man Grenzen überschreitet, wird man Politikern zeigen, dass man es ernst meint und dass etwas geschehen muss. 

Nur indem man sie permanent an ein Problem erinnert, wird bei ihnen der Eindruck entstehen, dass die Wähler Handlungen sehen wollen.

Und würde irgendjemand sagen, dass die gestrige Aktion keine Aufmerksamkeit erzeugt und keine Entschlossenheit demonstriert hat?

Dass eine stille Mahnwache es in die Tagesthemen geschafft hätte?
In einer Zeit, in der Medien über Geschehnisse auf der ganzen Welt berichten, in der durch permanente Verfügbarkeit von unterhaltendem Inhalt und Informationen die Aufmerksamkeitsspanne und die "Interessierbarkeit" der Menschen spürbar gesunken sind, braucht es mehr, als eine traditonelle Demo, um noch gehört zu werden.
Und das ist der Punkt, an dem klar wird, dass diese Sachbeschädigungen durchaus einem sinnvollen Ziel gedient haben.
Dass sie der Preis sein mussten, um die Aufmerksamkeit auf etwas viel wertvolleres zu lenken, als ein bisschen Rasen es je sein kann.
Auf Menschenleben.


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