Der Mord am Frankfurter HBF und seine rassistische Instrumentalisierung

Ein Familienvater stößt eine ihm völlig fremde Frau und ihr Kind wortlos vor einen Zug, das Kind stirbt. Das ist eine Tat, die nichts anderes hinterlassen kann, als pures Entsetzen. Psychologen, die aus der Ferne eine Einschätzungen geben sollten, bestätigen, was auch für Laien naheliegt: Das muss der traurige Gipfel einer langen, gestörten Entwicklung beim Täter sein. 

 Die einen wollen nun dem Ohnmachtsgefühl, das eine solche Tate hinterlässt, entfliehen, indem sie versuchen der Antwort auf die drängende Frage "Warum?" irgendwie nahezukommen. Bei den sperrlichen Informationen, die aktuell noch vorliegen, ist das natürlich kaum möglich. Bei Taten, die die sozialen Normen auf solch extreme und ungewöhnliche Weise brechen, bleibt sie aber auch nach langen Auseinandersetzungen in der Öffentlichkeit, der völligen Offenlegung des Privatlebens des Täters und einer juristischen Aufarbeitung nur ansatzweise beantwortet. Auch nach der Analyse aller möglichen auslösenden Faktoren, bleibt das Unverständnis, warum gerade so reagiert wurde.

Andere interessieren der Täter und seine persönliche Entwicklung von Anfang an nicht, sie verspüren Wut, wollen hart strafen und künftige Taten verhindern. Dabei schießen sie oft übers Ziel hinaus, weil Güterabwägungen vorschnell getroffen werden. Und natürlich gibt es bei dem Täter von Frankfurt ein besonderes Detail, durch das der Fall nun zu einem politischen gemacht wird: Der Täter ist Migrant. 

Man kann nun beispielhaft beobachten, wie dieses Detail, das mit der Entwicklung, die bei einem nicht-Migranten möglicherweise genau so hätte auftreten können, vielleicht gar nicht viel zu tun hat (bzw. ein viel komplexerer Zusammenhang vorliegt, als das Narrativ des barbarischen Fremden), zum wesentlichen Merkmal gemacht wird. Wenn Migranten Verbrechen begehen, wird von vielen im Allgemeinen reflexartig eine nicht weiter definierte "Andersartigkeit der Kultur" zum ausschlaggebenden Erklärungsansatz. So kann dem oben geschilderten Unverständnis und der Ohnmacht entronnen werden. 

Wenn ein Verbrechen so schockierend ist, wie das in Frankfurt geschehene, liegt dies besonders nahe. Interessant ist aber, diese Erklärungsansätze mit jenen zu vergleichen, die bei nicht-migrantischen Tätern herangezogen werden. Es gab in Deutschland viele ebenso unvorstellbare und entsetzliche Taten von Menschen ohne Migrationshintergrund: Der sog. "Kannibale von Rothenburg", Menschen, die ihre Babies töteten und einbettonierten, den Kriminalfall Höxter, den 14-jährigen Mörder von Wenden, den Amokfahrer von Münster, zahlreiche brutale Serienmörder, Amokläufe usw. Hier gab es keinen offensichtlichen Unterschied wie eine ausländische Herkunft, viele wirkten vor dem Verbrechen wie ganz normale Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft. Ein Anknüpfungspunkt für Pauschalisierung und Rassismus bietet sich hier meist nicht, zu der Gruppe, die in Sippenhaft genommen werden müsste, gehört man selbst, deshalb wird die Schuldzuweisung nicht über den Täter hinaus ausgeweitet und man sucht nach anderen Gründen. Hier werden meist wiederum unscharf definierte Konzepte von sozialer Herkunft oder psychischer Krankheit herangezogen, um sich das Geschehene irgendwie zu erklären, diese Menschen sind dann "einfach krank", kommen aus Zusammenhängen, wo "sowieso alle gestört sind". 

Das bedeutet im Umkehrschluss, dass Tätern mit Migrationshintegrundes tendenziell eine differenziertere Auseinandersetzung mit Psyche, Milieu, Sozialisation und auslösenden Konflikten verwehrt bleibt, für viele ist nach der "Kulturkeule" Schluss. Man kann gerade leider wieder beispielhaft beobachten, wie mit diesem Phänomen allerlei pauschalisierende und rassistische Deutungsmuster verknüpft sind. Weist man darauf hin, erntet man schnell den Vorwurf der Realativierung. Ein grausames Verbrechen ist geschehen und ich spanne schon wieder den Bogen zum Rassismus. Viele scheinen sich zu wünschen, dass wir noch hysterischer, als wir es jetzt schon tun, jedes einzelne Verbrechen, besonders von migrantischen Tätern, wahrnehmen und auseinandernehmen und halten das Problem mit Gewaltkriminalität für vergleichbar mit jenem des Rassismus oder gar noch drängender. 

Der Unterschied ist für mich, dass bestimmte, besonders schlimme Verbrechen wie Mord, meist nicht ideologisch motiviert, sondern sog. "Beziehungstaten" sind. Taten, die es in allen Gesellschaften und zu allen Zeiten (in unterschiedlicher Intensität) gibt und gab. Hauptauslöser sind meist komplexe, zwischenmenschliche Beziehungen und psychosoziale Entwicklungen, die auch weitgehend unabhängig vom gesellschaftlichen Rahmen sich entwickeln können. Letzterer kann einem Verbrechen natürlich Vorschub leisten und muss in eine differenzierte Ursachenforschung ebenso einfließen, das Argument, eine andere Mentalität könnte die Hemmschwelle senken, kann in einer differenzierten Form dort auch seinen Platz finden. Aber letztlich ist jede Tat einzigartig und alleine die Herkunft des Täters als ausschlaggebenden Grund zu nennen, ist ungenügend. 

Nicht zuletzt muss man sich dem Mythos entgegenstellen, wir hätten aktuell in Deutschland ein massives Problem mit schwerstkriminellen Migranten, die Häufigkeit und Intensität schwerer Straftaten würde rasant steigen und Migranten würden pauschal häufiger straffällig. Das ganze ist eine äußerst komplexe Debatte, aber wenn man sie vernünftig zu Ende geführt hat, ist für die pauschalen Ansichten, die wir immer und immer wieder vernehmen, nicht mehr viel Platz. 

Rassismus hingegen ist ein gesellschaftliches Phänomen, ein Weltbild, das Menschen in Gruppen vernetzt und aus gemeinsamer Überzeugung Gewalt anwenden lässt. Bei jedem Völkermord, bei jedem schlimmsten Kollektivverbrechen der Menschheit, hat Rassismus eine entscheidende Rolle gespielt. Mordende rassistische Horden gab es, im Gegensatz zu den Horden vergewaltigender und Brandschatzender Migranten, die in Deutschland aktuell heraufbeschworen werden, tatsächlich. Aktuell besteht die berechtigte Sorge, dass diese Geißel der Menscheit namens Rassimus in unserer Gesellschaft wieder Fuß fassen könnte. Erst vor kurzem wurde ein Mann aus einem Auto angeschossen, willkürlich ausgewählt aufgrund seiner Hautfarbe. Deshalb muss auch über Rassimus gesprochen werden, wenn ein Verbrechen wie das von Frankfurt zum Anlass genommen wird, rassistisches Gedankengut zu verbreiten. 

 Das wäre nicht nötig, wir könnten uns auf die Tat und ihre Opfer konzentrieren, wenn wir endlich aufhören würden, die plumpe Schablone der ethnischen Zugehörigkeit über jedes gesellschaftliche Problem zu legen und Kriminalität als das diskutieren würden, was es ist: Menschen, die Menschen schaden.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

30 Jahre Bosnienkrieg - Gedenktage und internationale Konferenz in Sarajevo

30 Jahre Unabhängigkeit Bosniens - Wiederholt die Welt ihre Fehler in der Ukraine?

Rassismus-Kritik gegen WDR: Über das Reden, wenn man zuhören sollte