Jahrestag der Zerstörung der Nationalbibliothek Sarajevos - Beginn des Berufungsverfahrens gegen Ratko Mladić


Vedran Smajlović spielt während der Belagerung von Sarajevo als Symbol der Hoffnung und des Widerstandes in den Ruinen der Nationalbibliothek Cello (1992)
Vedran Smajlović spielt während der Belagerung von Sarajevo als Symbol der Hoffnung und des Widerstandes in den Ruinen der Nationalbibliothek Cello (1992)


Am heutigen Tag im Jahre 1992 wurde die Nationalbibliothek Bosnien-Herzegowinas während der Belagerung von Sarajevo, der längsten in der modernen Geschichte, von serbischen Kräften, die die Stadt umzingelt hatten, bombardiert und in Brand gesteckt. Dabei gingen unzählige Bücher und unwiederbringliche geschichtliche Originaldokumente verloren.

Die Kommandanten und einfache Soldaten (von denen viele nie zur Rechenschaft gezogen wurden) hatten laut dem internationalen Strafgerichtshof (ICTY) während der gesamten Belagerung die Absicht gezielt Zivilisten zu töten - schätzungsweise 11.000 Menschen (darunter 1.600 Kinder) bezahlten dies mit dem Leben, 56.000 mit teils schweren Verletzungen. Während des Angriffes auf die Nationalbibliothek sollten insbesondere Rettungsversuche mörderisch verhindert werden. Mindestens eine Person, Aida Buturović, wurde nachweislich beim Versuch Bücher zu retten ermordet.
Gleichzeig steht heute in den Haag Ratko Mladić vor seinem Berufungsverfahren, jener bereits verurteilte Kriegsverbrecher, von dem man sich auf Youtube ansehen kann, wie er Angriffe auf die Zivilbevölkerung Sarajevos befiehlt ("Baller auf den Stadtteil Velešići, dort leben nicht viele Serben!" "bringt sie um ihren Schlaf und Verstand!"). Unter den Videos findet man wie immer die entsprechenden, verharmlosenden oder verherrlichenden Kommentare der weiterhin sehr aktiv, serbischen Nationalistenszene.
Diese Szene, mit ihrer genozidalen Ideologie, kann sich bis heute darauf verlassen, dass internationale, intelektuelle Prominenz diese herunterspielt oder unterstüzt. So erhielt Peter Handke, der für den obersten Boss der Serben in den Jugoslawienkriegen, Slobodan Milošević, die Grabrede hielt, im letzten Jahr den Literaturnobelpreis. Auch die antiimperialistische linke Szene gerät oft auf fatale Irrwege, wenn sie die NATO-Interventionen in Bosnien und Kosovo kritisiert und sich am Ende mit diesen Menschen oder GenozidleugnerInnen (in)direkt solidarisiert:
So verteidigte etwa die Koryphäe der amerikanischen linken, Prof. Noam Chomsky, den deutschen Journalisten Thomas Deichmann, der in Verteidigung des mittlerweile ebenfalls verurteilten Kriegsverbrechers Duško Tadić behauptete, ein serbisches Konzentrationslager sei ein Flüchtlingslager gewesen, das die Gefangenen jederzeit hätten verlassen können. Chomsky selbst wiederholte diese Aussage und sagte den Völkermord in Srebrenica einen solchen zu nennen (und damit dem ICTY zu folgen) würde dieses Wort entwerten. Bis heute hat er diese Sichtweisen trotz massiver Kritik nicht revidiert.
Ratko Mladić ist ein Völkermörder, in Srebrenica wurde ihm dies zweifelsfrei nachgewiesen. Der Angriff auf die Nationalbibliothek muss ebenfalls als ein Akt genozidaler Ideologie verstanden werden, mit dem die kulturelle Identität der Bosniaken und die Dokumentation über die multiethnische Geschichte Bosnien-Herzegowinas getilgt werden sollte - unter Mladićs militärischem Oberkommando. In Bosnien war die Enttäuschung groß, als er in einem von elf Anklagepunkten freigesprochen wurde,
dem Völkermord in weiteren sechs bosnischen Gemeinden, obwohl dort die selbe Ideologie der mörderischen, ethnischen Säuberung angewandt wurde, nur nicht in so wenigen Tagen so viele Menschen ermordet wurden (aber insgesamt kamen im Bosnienkrieg rund 100.000 Menschen um, davon 40 % Zivilpersonen und davon wiederum 83% Bosniaken). Die Berufungskammer hat also nun die Möglichkeit, diesen symbolischen Schritt nachzuholen und wie im Berufungsurteil von Radovan Karadžić das ursprüngliche Urteil zu verschärfen.

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