Rassismus-Kritik gegen WDR: Über das Reden, wenn man zuhören sollte


Die wenig diverse Talkrunde

Auch wenn ich kein Freund von Shitstorms bin, kann ich die massiven Reaktionen auf die WDR-Sendung "Die letzte Instanz" absolut nachvollziehen. Völlig verständlich, dass man als Person, die von wiederkehrenden Vorurteilen und Diskriminierung betroffen ist und/oder ein Leben lang dagegen ankämpft, an die Decke geht, wenn „Inspektor Jürgen“ von Big Brother im öffentlich-rechtlichen Fernsehen erklären darf, warum Diskurse über diese Themen völlig überflüssig sind, weil ihm seine Ausländer-FreundInnen das ja bestätigt hätten und niemand wirklich widerspricht. Einwände sah man nur am Rande und als Mutmaßungen eingebracht, weil niemand eingeladen war, für den das mehr ist, als eine theoretische Abwägung.

Die Frage, wem man eine Bühne bieten soll (Stichwort auch false balancing) ist ja selbst bereits ein Politikum und Gegenstand anhaltender Kontroversen. Die KritikerInnen der KritikerInnen werden auch sagen, dass nicht überall jede Perspektive repräsentiert sein kann. Aber das ist auch nicht die Forderung. Die grundsätzlichste Lektion, die ProduzentInnen ähnlicher, öffentlicher Inhalte meines Erachtens aus dieser Sendung ziehen sollten, ist eine zukünftige Gästeauswahl, von der sich zumindest vermuten lässt, dass am Ende nicht alleine Menschen über komplexe Themen sprechen, die relevante Erfahrungen nicht (in vergleichbarem Ausmaß) gemacht haben können. Das wäre keineswegs schwer gewesen. Man fragt sich eher, wie die vielen ähnlichen Fälle und Diskussionen der Vergangenheit offenbar an den Verantwortlichen vorbeigehen konnten und wie man die Kritik nicht kommen sah, wenn mit dieser Gästeauswahl öffentlich über diese sensiblen Themen gesprochen wird.

Noch wichtiger finde ich aber eine Analyse der Sendung für den öffentlichen Diskurs, denn sie hat beispielshaft vorgeführt, was allgegenwärtig ist: Immer wieder nehmen die Gäste weitreichende Wertungen vor, offenbar ohne ausreichend zu reflektieren, welche Implikationen diese haben, welche anderen Perspektiven es auf die Sachverhalte gibt und welche Erfahrungen, die ihnen fehlen, möglicherweise zu gänzlich anderen Schlüssen führen. Eine kommentierte Version der Sendung wäre ein hervorragendes Lehrstück über die (unbewusste) Reproduktion und Verharmlosung von Rassismus, sowie Pseudo-Lösungsvorschläge, es waren jedenfalls so gut wie alle Beispiele aus den typischen Ratgebern vertreten.

Da sagt Jürgen Milski „wir (in unserer Generation) haben uns keine Gedanken gemacht über das Z******rschitzel“ und damit ist offenbar alles Nötige gesagt, laut Janine Kunzmann „problematisieren und terrorisieren wir zu viel“, machen uns die Dinge halt zu kompliziert und die Lösung ist eben „lockerer zu werden“. Weil sie sich über z.B. Sexismus nicht aufregt, sollten sich andere ein Beispiel an ihr nehmen und weil sie beim Schnitzel nicht an Diskriminierung gedacht hat, war es auch keine. Daraus folgt implizit, es habe auch niemand ein Recht es als solche zu empfinden. Ebenso ist es bei kultureller Aneignung und Blackfacing: historische Kontexte und Betroffenenstimmen seien weniger ausschlaggebend als die zu vermutende Absicht, die im Zweifel auch nachgeschoben werden kann. Laut Gotschalk gehe es bei Rassismus ohnehin nur um (Un)anständigkeit und „redliche“ Menschen können damit nichts zu tun haben. Und es seien ja auch nur „2 – 3 Leute, die auch nichts Besseres zu tun haben“, die sich verletzt fühlten. Das Lebenswerk unzähliger AktivistInnen wird damit einfach mal zum schrägen Zeitvertreib von Nichtsnutzen erklärt. Milski geht sogar so weit den Einwand, Menschen fühlten sich ja diskriminiert mit einem lauten „das stimmt überhaupt nicht!“ pauschal zu diskreditieren, der Zentralrat der Sinti und Roma erntet dann nur noch hämische Laute, bevor der Moderator überhaupt die Aufmerksamkeit erkämpfen kann, seine Aussagen vorzutragen. Micky Beisenherz (der ansonsten als einziger ab und zu auch mal versucht Einwände zu bringen und ein bisschen zu differenzieren) sieht sich sogar berufen im Namen des Zentralrates zu implizieren, dass das Z******rschnitzel laut diesem ja ein Luxusproblem sei, um zu legitimieren, dass er den Begriff „persönlich nicht weiter schlimm“ finde. Abgerundet wird das Ganze noch von dem Segment über die Polizei und racial profiling, dessen Zusammenfassung ich dem/der Lesenden hier erspare, das aber ähnliche Einseitigkeit, Vereinfachung und Problem-Unbewusstsein zur Schau stellt. Bereits in den ersten 10 Minuten fallen immer wieder Begriffe wie „lächerlich“ „zwanghaft“ „nervig“, Annahmen über die Gefühlswelt irgendwelcher Freunde werden als Totschlagargumente ins Feld geführt und Sätze beginnen mit „In meiner Welt…“.

Die Gäste führen damit beispielhaft vor, welche Haltung und welche Muster einem immer wieder im Alltag und in den sozialen Medien zum Themen wie Rassismus, Sexismus, Diskriminierung, inklusive Sprache, „politische Korrektheit“ etc. begegnen. Die erste Frage scheint nicht zu sein, welche kollektiven, auch historischen Erfahrungen es geben könnte, die z.B. der Mehrheitsgesellschaft nicht ähnlich präsent sind wie Minderheiten (oder Person X nicht wie Person Y), weshalb bei den einen z.B. bestimmte Begriffe gänzlich andere Assoziationen wecken und entsprechende Diskussionen eine Berechtigung haben könnten - Über die Bedeutung des Z-Wortes im Zusammenhang mit dem Porajmos etwa hat in der Sendung wenig überraschend niemand gesprochen. Die erste Assoziation scheint hauptsächlich die eigene soziale Position und Perspektive widerzuspiegeln und die Auswirkungen auf sich selbst in den Fokus zu rücken: Was bin ich gewohnt, was stört mich und was nicht? Wie nötig oder unnötig empfinde ich die Diskussionen und wie stelle ich mir die Leute vor, die sich von bestimmten Begriffen gestört fühlen? Was darf ich dann noch sagen und machen und was muss ich mir aufwändig abgewöhnen? Werde auch ich bald in ein Fettnäpfchen treten, was mir nicht bewusst war und unangenehme Gängelung erleben?

Natürlich kann man zu Fragen rund um politische Korrektheit, diskriminierungsfreie Sprache, Identitätspolitik, wo Rassismus, Sexismus etc. beginnen unterschiedlicher Meinung sein, ohne die Existenz dieser Phänomene, Erfahrungen mit Diskriminierung und Vorurteilen und damit verbundene Emotionen derart zu verleugnen. Auch die Betroffenen sind keine homogene Gruppe, in der völliger Konsens herrscht. Die angebliche Sprachpolizei, die jede Widerrede aggressiv unterbinde, halte ich in den meisten Fällen für ein Schreckgespenst von Menschen, die Meinungsfreiheit mit Widerspruchsfreiheit verwechseln. Etwa kann man einwenden, dass es wichtigere Felder im Kampf gegen Diskriminierung gibt als Sprache (was natürlich nicht heißen muss, dass diese egal ist), man kann unterschiedliche Strategien zum Umgang mit Problemen und Meinungsverschiedenheiten in diesem Feld vertreten (z.B. Dialog/ Verständnis/ Geduld vs. Konfrontation und Recht auf Wut), man kann Interpretationen mit Allgemeingültigkeitsanspruch, Labeling und alltagsfernen/ schichtspezifisichen Avantgardismus kritisieren, man kann subjektiv befinden, dass gendergerechte Sprache den Lesefluss stört, man kann Sorge anmelden, dass Idealtypen, die erfunden wurden, um die Bedeutung von Privilegien und sozialen Positionen anschaulich zu machen (z.B. der „alte, weiße Mann“) zu Vorurteilen gegen Individuen führen könnten, man kann die Implikationen auf Kunstfreiheit oder Werke aus anderem historischen Kontext diskutieren oder sich fragen, wie es um Grenzen oder analoge Anwendungen steht. All diese Fragen wurden bereits in deutlich respektvollerer und aufschlussreicherer Weise diskutiert, ohne Shitstorms nach sich zu ziehen.

Ich selbst versuche mich auch bei der Beurteilung dieser Fragen an dem Maßstab zu messen, dessen Missachtung ich bei den Talkshowgästen kritisiere. Ich versuche Einwände wahr- und ernstzunehmen, mich meinem Objektivitätsanspruch (von dem ich weiß, dass seine Perfektionierung eine Illusion ist) anzunähern und abzuwägen, aus welcher Perspektive, mit welchem Erfahrungshintergrund und möglichen Interessen ein Argument hervorgebracht wird. Ich versuche Schlussfolgerungen danach zu bewerten, ob sie eine Reflexion erkennen lassen. Ob sie versuchen alle relevanten Faktoren zu berücksichtigen und nicht etwas ausblenden, was in der Realität des/der Sprechenden nicht vorkommt und diese Realität zum allgemeingültigen Maßstab erheben. Ob sie ein Bewusstsein dafür erkennen lassen, dass die Analysefähigkeit aus dem eigenen Alltag bei komplexen Fragen an Grenzen stößt und ggf. mit anderen Perspektiven ergänzt werden muss, die respektiert und angehört werden. Erst dann versuche ich zu entscheiden, ob und wie sehr ich zustimme, ob ich höflich hinweise und ergänze, oder ggf. vehement widerspreche. Ich versuche Komplexität zu würdigen und so zu formulieren, dass möglichst Transparenz darüber herrscht, wo meine Aussagen an Grenzen stoßen, wo sie nur bedingt greifen, wo ich mutmaße. Ich versuche mich nicht zu äußern, bevor ich nicht das Gefühl habe, die wesentlichen Implikationen überblicken zu können. Ich versuche mir bewusst zu bleiben, dass ich - wie jeder - aus Unwissenheit blinde Flecken habe, die ich versuche aufzudecken oder aufdecken zu lassen, in mein Weltbild zu integrieren und dieses anzupassen, wenn diese Integration nicht widerspruchsfrei möglich ist. Auch deshalb versuche ich andere Meinungen nachzuvollziehen, sie nicht einfach als dumm, falsch, unnötig oder nervig abzustempeln und verschiedene Perspektiven gelten zu lassen, auch wenn das bedeutet, nicht immer zu befriedigenden, endgültigen Lösungen zu finden. Das ist ein Diskursideal, an dem ich grundsätzlich festhalte, auch wenn mir seine zahlreichen Grenzen bewusst sind.

Pauschale und plumpe Schlussfolgerungen, wie sie in der WDR-Sendung beispielhaft vertreten waren, lassen all das in irritierendem Ausmaß nicht erkennen. Es würde dem öffentlichen Diskurs guttun, wenn sich in Folge dessen, bei allen Unterschieden, die bleiben werden, die Erkenntnis wenigstens ein bisschen stärker durchsetzen würde, dass man sich mit pauschalen Urteilen zu komplexen Themen auch auf Nachfrage ruhig zurückhaltend darf und es respektabel und nicht peinlich ist, wenn man sich bewusst lieber nicht oder nur unter Vorbehalt äußert, weil einem ggf. wichtige Informationen und Erfahrungen fehlen.

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