Ein serbischer Weinstein?

 

 

Danjiela Štajnfeld im Interview mit Insajder, in dem sie nach 9 Jahren den Namen ihres Vergewaltigers öffentlich macht.


 

Den Balkan beschäftigt aktuell ein Vergewaltigungsvorwurf, der an den bisherigen Höhepunkt der Metoo-Bewegung erinnert, in dessen Folge der mächtige amerikanische Filmproduzent Harvey Weinstein wegen Sexualstraftaten zu langjähriger Haft verurteilt wurde.

In Serbien beschuldigt die Schauspielerin Danjiela Štajnfeld ihren Schauspielkollegen, Regisseur, Akademiker und Ex-Kulturminister Branislav Lečić sie im Mai 2012 gegen ihren Willen an einen ihr unbekannten Ort gebracht und dort gequält und vergewaltigt zu haben. Anders als bei Weinstein sind bisher keine weiteren Frauen mit Vorwürfen gegen Lečić an die Öffentlichkeit gegangen. Auch hier scheinen aber, wie in so vielen Fällen, von denen die Öffentlichkeit in den letzten Jahren erfuhr, Machtdynamiken und die gesellschaftliche Position des mutmaßlichen Täters eine zentrale Rolle zu spielen. Auch die Rolle des Opfers bzw. der Öffentlichkeit sind geeignet, um die grundsätzlichen Dynamiken nochmals aufzuzeigen, die sich in ähnlichen Fällen ständig wiederholen, in großer Öffentlichkeit, in kleineren sozialen Netzwerken oder in völliger Vereinsamung des Opfers. Ich halte deshalb eine tiefere Auseinandersetzung in deutscher Sprache, die bisher fehlt, für einen wichtigen Beitrag, den ich aufgrund meines Balkan-Bezugs liefern kann und möchte. 

Der Fall ist nach einer offiziellen Anzeige Štajnfelds aktuell bei den serbischen Behörden anhängig, Informationen über eine Anklageerhebung liegen jedoch bisher nicht vor. In dieser Situation über einen solchen Fall zu schreiben, ist nicht einfach, da man nicht weiß, auf welchen Anteil eines „Gesamtbildes“ man überhaupt Zugriff hat und man sich als Blogger nicht die Rolle von Strafverfolgungsbehörden anmaßen möchte, jemanden zu verurteilen. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass viele Vergewaltigungsopfer zusätzlich schwere Ungerechtigkeit erleiden müssen, da ihnen nicht geglaubt wird, finde ich die Haltung, Vorwürfen grundsätzlich zu glauben, nachvollziehbar. Eine Aussage gegen Aussage Situation bleibt dennoch ein schwieriges Dilemma, das auch die Befugnisse und Möglichkeiten von Behörden oft nicht aufzulösen im Stande sind. Auch wenn Falschbeschuldigungen viel seltener auftreten dürften, als Vergewaltigungen oder die unerträgliche Situation des Misstrauens gegenüber Opfern, sind auch sie ein schweres Unrecht und man kann als Außenstehender in einem konkreten Fall nichts ausschließen, gerade bei Personen des öffentlichen Lebens.

Und dennoch kann man nicht neutral bleiben, insbesondere vor der gesellschaftlichen Dimension solcher Fälle. Ich werde daher versuchen verantwortungsvoll und unter erwähntem Vorbehalt mit dem zu arbeiten, was aktuell bereits bekannt ist, woraufhin jede:r Leser:in selbst entscheiden muss, was in diesem Moment am wahrscheinlichsten wirkt. Im Raum stehen bereits sehr konkrete Aussagen, die Lečić in meinen Augen keineswegs glaubwürdig erscheinen lassen. Ich entscheide mich bewusst dagegen, die Ausführungen Štajnfelds im Konjunktiv zu formulieren, um nicht zu implizieren, sie seien unwahr. 

Die Vorwürfe

Die Vergewaltigung hat laut Štajnfeld völlig unerwartet stattgefunden. Sie war mit Lečić befreundet und ist am 7.5.2012 wie bereits häufiger zuvor freiwillig in sein Auto gestiegen, sie dachte er fährt sie nach Hause. Er hat sie dieses Mal aber entführt und an einen ihr unbekannten Ort in den Randbezirken Belgrads gebracht, obwohl sie bereits im Auto geweint und mehrmals deutlich gemacht habe, dass sie nicht dorthin will. Zum genauen Tatablauf hat sich Štajnfeld nach meinem Recherchestand bisher nicht öffentlich geäußert, ich halte das für ihr gutes Recht. An einer möglicherweise retraumatisierenden, detaillierten Beschreibung wird für eine juristische Aufarbeitung vielleicht kein Weg vorbeiführen, was in der Öffentlichkeit verhandelt wird, ist aber eine andere Frage. Trotz hohem Interesse sollte der Wunsch der Öffentlichkeit Detektiv zu spielen in solchen Fällen mE grundsätzlich nicht höher wiegen als der Opferschutz. 

Štajnfeld machte nach der Tat das durch, was viele Vergewaltigungsopfer schildern: Hilflosigkeit, völlige Überforderung, Scham, eine Unfähigkeit, das Geschehene zu realisieren. Wie in ebenfalls vielen anderen Fällen, hat dieses Erleben dazu geführt, dass sie nicht im Stande war, die Tat sofort anzuzeigen. Vier Tage später war sie gar gezwungen, nochmals mit Lečić auf der Bühne zu stehen.

Hier eröffnet sich bereits ein gesellschaftlich relevanter Aspekt: Wie in vielen Fällen, dient die Tatsache einer späten Anzeige vielen bereits als Indiz oder gar Beweis, dass die Tat erfunden sein muss. Man glaubt, nicht mehr betonen zu müssen, dass dies als Pauschal-Schlussfolgerung absolut ungültig ist, da es unzählige psychologische Erklärungen für derartiges Opferverhalten geben kann. Aber dieser Fall lehrt uns leider erneut, dass man es durchaus weiterhin eindringlich betonen muss.

Die Beweise

Etwa vierzig Tage nachdem sie vergewaltigt wurde, hat Štajnfeld alle ihre zukünftigen Rollen in Serbien gekündigt und ist in die USA geflohen. In Serbien war eine erfolgreiche Schauspielerin mit vielversprechender Karriere plötzlich und unerklärlich von der Bildfläche verschwunden. In den USA hat sie zunächst nicht wahrgenommen, wie tief das Trauma saß und wollte, ebenfalls ein häufiger Reflex, die Sache vergessen und neu beginnen. Sie litt jedoch bereits früh an Schlaflosigkeit, hatte dann immer häufiger Panikattacken, schließlich Flashbacks und Suizidgedanken, ihr Leben drohte völlig aus den Fugen zu geraten. Sie begab sich in professionelle Hände und bekam die Diagnose posttraumatische Belastungsstörung. Ihre Behandlungsakten übergab sie den serbischen Behörden mit dem Hinweis, dass ihre traumabedingten Veränderungen u.a. in einer Studie vom Columbia Institute messbar gemacht wurden und es unmöglich sei, dass sie all dies nur vorgetäuscht hätte.

Bemerkenswert ist insbesondere auch, wie Štajnfeld die Jahre von der Tat bis zu ihrem öffentlich werden verbrachte. Sie wirken wie eine persönliche Reise, in der sie sich einerseits selbst große Fortschritte in ihrer psychischen Gesundheit erkämpfte und andererseits ihre Erfahrungen nutzte, um anderen Opfern zu helfen und die Öffentlichkeit zu sensibilisieren. Als Höhepunkt dieser Mission dürfte die von ihr produzierte Dokumentation „Hold me right“ anzusehen sein, in der Opfer und Täter von Vergewaltigungen zu Wort kommen und in der sie selbst erstmals öffentlich macht, vergewaltigt worden zu sein, eine Erkenntnis, die für sie in den ersten Jahren kaum auszusprechen war.

Den Prozess von Konfrontation und beginnender Heilung ging sie mutig, selbstbestimmt und äußerst vorausschauend an. In späteren Interviews sagt sie, ihr sei klar gewesen, dass ein Teil der Öffentlichkeit sie verurteilen und eine neue Art von Kampf beginnen wird, insbesondere aufgrund von Lečićs sozialem Status. Und so kam es auch: Die Klatschpresse warf ihr vor, mit den Vorwürfen nur ihren Film „promoten“ zu wollen, auch Lečić deutete derartiges in einer Stellungnahme an. In öffentlichen Kommentarspalten sind wie so oft vor Ignoranz strotzende Pauschalurteile zu lesen, die man gar nicht zitieren möchte. Doch sie erhielt auch viel Unterstützung, in Form von Zuschriften von Frauen, die ähnliches durch andere Männer erlebt haben oder die öffentliche Positionierung von Koleg:innen, die nicht mehr mit Lečić auf der Bühne stehen wollten. Ihr Vorstoß führte sogar zu einer Art überfälligem MeToo-Ableger auf dem Balkan, wo Frauen unter dem Hashtag #nisisama und #nisamtrazila („du bist nicht allein“ und „ich habe nicht darum gebeten“) von ihren Erfahrungen berichteten.

Aufgrund dieser realen Befürchtungen hielt sich Štajnfeld jedoch zunächst lange damit zurück, den Namen ihres Vergewaltigers zu nennen, was für zusätzliche Vorwürfe sorgte. Als Lečić sich im Fall des Schauspielprofessors Miroslav „Mika“ Aleksić, der sich aktuell wegen mehrerer Vergewaltigungsvorwürfe vor Gericht verantworten muss, als Kämpfer für sexuelle Selbstbestimmung inszenierte und Aleksićs Ex-Schüler:innen in seine eigene Schauspielschule einlud, sah Štajnfeld keine Möglichkeit mehr, seine Identität weiter geheimzuhalten. Sie gab an, dass es jetzt nicht mehr um sie gehe, sondern um den Schutz potentieller, neuer oder gar wiederholter Opfer. Als sie in einem Interview mit „Insajder“ am 22.03.2021 Lečićs Namen erstmals nannte, schlug der Fall wieder hohe Wellen.

Obwohl sie ihre eigene Geschichte zunächst nicht in ihrem Film präsentieren wollte, entschied sie sich im Laufe der Dreharbeiten doch dafür. In der Dokumentation taucht ein dritter zentraler Beweis auf, der nun im Zentrum der Aufmerksamkeit steht: Ein Mitschnitt von einem Gespräch mit Lečić, dessen Stimme im Film noch verfremdet ist, von der aber mittlerweile eine unzensierte Version öffentlich ist. Sie spricht ihn auf den Vorfall an, den er nicht leugnet. Auf ihre Aussage, sie wünsche sich, dass er ihr „Nein“ akzeptiert hätte, sagt er, es sei doch eine Ehre für sie seine „Zärtlichkeit“ und sein Interesse geweckt zu haben, er habe ja nicht mit jeder Sex (seine Wortwahl war dabei deutlich vulgärer) und wisse sie überhaupt, wer er sei? Anschließend verwässert er den Grundsatz „Nein heißt Nein“.

Die Verteidigung

Lečić bestreitet alle Vorwürfe. Zentral ist dabei eine ca. 16-minütige Stellungnahme, in der er u.a. lange über grundsätzliche Fragen der Rechtsstaatlichkeit referiert und mit Verweis auf seine Religiosität seine Unschuld beteuert. Anders als in dem Mitschnitt aber, gibt er an, niemals sexuelle Beziehungen in irgendeiner Art mit Štajnfeld gehabt zu haben. Er leugnet hingegen nicht, dass seine Stimme auf dem Mitschnitt zu hören ist, wo er sogar bestätigt, sich an ihr weinen erinnern zu können. Er behauptet aber, der Ausschnitt sei irreführend und wenn die ganze Aufnahme zu hören wäre, käme die Wahrheit heraus, nämlich, dass es sich nur um einen improvisierten Dialog für eine Vorführung handelte und das ganze Gespräch von einer „positiven Energie“ gekennzeichnet sei. Die New York Times, der der gesamte Mitschnitt vorliegt, gibt an, dass zwar stellenweise so etwas wie freundliches Geplauder zu hören sei, aber ihre Stimme ernst und ihre Verletzung deutlich werde, wenn sie auf den Vorfall zu sprechen kommt. Lečić dagegen scheint davon überzeugt zu sein, die Handlungen seien einvernehmlich gewesen. Für Theater-Improvisation gebe es dagegen keine Hinweise. Štajnfeld weist außerdem darauf hin, dass kein Stück existiert, in der ein solcher Dialog auftaucht und fordert Lečić auf zu erklären, um welches es sich handeln solle.

Eine:r lügt?

In einer solchen Situation gehen viele davon aus, dass eine Partei lügen muss. Hört man Lečićs Stellungnahmen voller Pathos, ist es gruselig sich vorzustellen, dass Menschen unter uns weilen, die sich dermaßen verstellen können. Er wäre aber nicht der erste, dem derartiges nachgewiesen wird. Noch schwerer ist es sich vorzustellen, dass eine Frau sich derartigem Druck aussetzt, auswandert und Vergewaltigungsprävention zu einem Lebensthema macht, obwohl ihre ganze Hintergrundgeschichte unwahr ist. Zudem wirkt Lečićs Umgang mit dem Mitschnitt auf mich mehr als unglaubwürdig. Denkbar ist aber auch, dass Lečić tatsächlich davon überzeugt ist, dass die Handlungen einvernehmlich waren, was vor dem Hintergrund von Štajnfelds drastischen Schilderungen noch gruseliger scheint, aber ein Aspekt ist, den man gesellschaftlich ernst nehmen muss: Gibt es da draußen besorgniserregend viele Männer, die derart übergriffig sind und all den Debatten um sexuelle Selbstbestimmung derart ignorant gegenüber stehen, dass sie eine Vergewaltigung begehen, ohne sich dessen im Nachhinein überhaupt bewusst zu sein?

Egal ob in Serbien, dem einige Kommentare ein besonders patriarchales System und besonders wenig Sensibilisierung zuschreiben, oder „westliche“ Industrienationen, in denen die MeToo-Bewegung die gleichen Dynamiken aufwies: Es bleibt nötig, ein soziales Bewusstsein zu bilden, Opfer zu schützen und zu beraten und Tätern das Gefühl zu nehmen, sie kämen mit Übergriffigkeit einfach davon. „Nein heißt Nein“ ist auch über 3 Jahre nach dem Weinstein-Skandal und allem zuvor und danach getätigtem Aktivismus längst nicht allen Köpfen verankert. Wie Lečić es in dem Mitschnitt tut, reden sich zu viele darauf hinaus, die Grenzen seien fließend und Frauen fänden Männer, die sich „nehmen was sie wollen“ doch sexy. Auch ich habe oft von älteren Männern den Rat gehört, man solle „hartnäckig“ sein. Wir müssen deshalb offen darüber reden, wie sich eventuell einvernehmlich gewünschtes Dominanzverhalten und Rollenspiele klar von Übergriffigkeit unterscheiden lassen.

Und auch solange die Kommentarspalten voll mit Menschen sind, die nicht abwarten und analysieren, sondern aus ihrem ersten Bauchgefühl heraus energisch Schlussfolgerungen ziehen und Opfer beschuldigen, wird Awareness-Arbeit nötig bleiben, zu der ich hiermit meinen Beitrag zu leisten versucht habe.

 

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