Lieferkettengesetz: Wir wollen und können keinen ethischen Konsum

 

 

 

Das Unternehmen NagerIT, eines der wenigen mit fairen Ambitionen in der Elektronikbranche, versucht seine Lieferketten vollständig transparent zu machen. Bereits ein erster Blick reicht, um zu erkennen, wie komplex diese in einer globalisierten Ökonomie sind. Oft können Akteure ohne Marktmacht sie gar nicht bis zur Rohstoffebene nachvollziehen. Das zeigt, dass der Fokus auf direkte Zuliefererbetriebe, der in der abgeschwächten Version des Lieferketten-
gesetzes festgelegt wurde, nicht reichen wird, um Menschenrechte effektiv zu schützen. Hier gibt es die Grafik als hochauflösende .pdf.



Die Bundesregierung hat sich nach zähem Ringen und zahlreichen Verschleppungen auf ein Lieferkettengesetz geeinigt, dessen Wirksamkeit in seiner nun beschlossenen Ausgestaltung jedoch umstritten bleibt.

Obwohl man immer wieder suggeriert bekommt, in der sozialen Marktwirtschaft gäbe es keinen Konflikt zwischen ökonomischen Interessen und Allgemeinwohl, Kapital und Arbeit (mehr) zeigen die Begleitumstände dieser Gesetzgebung in aller Deutlichkeit, dass dieser klassische Konflikt des Kapitalismus hochaktuell bleibt.

Bis in die Anfänge der neuen sozialen Bewegungen und wahrscheinlich noch viel weiter zurück, reicht die politische Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen und Nebenfolgen postindustrieller Konsumnormen. Unzählige politische, wissenschaftliche, mediale und zivilgesellschaftliche Diskursbeiträge können längst jeden wissen lassen, dass das Wohlstandsniveau der Industrienationen auch nach dem Kolonialismus mit Ausbeutung, Ressourcenübernutzung und Umweltzerstörung einhergeht und sehr wahrscheinlich nur durch diese hässlichen Externalitäten aufrecht zu erhalten ist.

Die Verpestung des Nigerdelta, die Wasserprivatisierungen von Nestlé, der Einsturz des Rana Plaza, die Selbstmorde im Zusammenhang mit Foxconn und Monsanto. Das sind nur die bekannteren Beispiele einer ganzen Weltwirtschaftsordnung, die auf die Interessen mächtiger Industrieländer ausgerichtet ist und in der Menschenrechte oft untergeordnet werden oder nur als Feigenblatt dienen. Die Vereinten Nationen, die stärkste Annäherung an ein Menschheits-Sprachrohr, die aktuell existiert, haben in ihren Leitprinzipien Wirtschaft und Menschenrechte formuliert, was getan werden müsste, um diesen Konflikt zugunsten der Menschenrechte zu entscheiden. Das Ganze ist mittlerweile 10 Jahre her und verschwunden sind die Probleme ganz offensichtlich nicht.

Und auch wenn das Thema für einen Großteil der Bürger:innen und Wähler:innen im Alltag kaum eine Rolle spielen dürfte und täglich Produkte konsumiert werden, in denen Ausbeutung steckt, oft auch ohne dass über Produktionsbedingungen und –folgen überhaupt Kenntnis herrscht, gibt es sie, die Kämpfer:innen für die gute Sache, die den Status Quo thematisieren und verändern wollen, statt ihn als offenes Geheimnis in kollektiver Ignoranz und Bequemlichkeit weiterlaufen zu lassen. Zu ihnen scheint auch Bundesentwicklungsminister Gerd Müller zu gehören, dessen eindringliche Appelle man von einem CSU-Mann nicht unbedingt erwartet hätte. Scheinbar sind auch Unionspolitiker:innen fähig die Schattenseiten einer Politik des ökonomischen Primats zu sehen, wenn sie von Berufswegen hinter die Kulissen blicken. Leider bleibt er eine Ausnahme, ein breiter politischer Konsens Menschenrechten Priorität vor Wachstum und Co. einzuräumen, bleibt ein Wunschtraum.

Besonders von Müllers Unions-Genoss:innen aus dem CDU-geführten Wirtschaftsministerium wurde dem widersprechend nämlich intensiv versucht, das Gesetz zu schwächen, mit den Wirtschaftsverbänden stimmte man in das altbekannte Bürokratie-Mittelstands-Klagelied ein. Der Wirtschaftsrat der CDU etwa forderte das Gesetz komplett zu stoppen und sprach von „linksideologischen Themen“. Menschenrechte seien also nichts als linke Ideologie? Es ist nicht schwer zu erahnen, welche Ideologie umgekehrt häufig hinter solchen Positionen steckt: radikale Marktideologie, die ökonomische Interessen schützen soll. Mit den üblichen Griffen in die Argumentations-Trickkiste wird das Ganze dann noch als Beitrag zum Allgemeinwohl verklärt: durch die Mär von trickledown-Ökonomie, die zynische Suggestion oder offene Aussage, ein Hungerlohn sei besser als gar keiner, das Heraufbeschwören der ewigen Schreckgespenster von Standortnachteil und autoritärer Planwirtschaft. Es droht am Ende einmal mehr nichts Geringeres als der Untergang der abendländischen Ökonomien. Diese sich nie bewahrheitenden Schreckensszenarien kennt man schon von jeder Tarifverhandlung, jeder Steuererhöhung, der Einführung des Mindestlohns, oder historisch weiter zurückblickend auch vom Widerstand gegen die 40 Stunden Woche, gegen Urlaubsansprüche, das Verbot von Kinderarbeit und anderer, mittlerweile selbstverständlicher sozialer Rechte.

Bereits lange kursierende Vorrechnungen der zusätzlichen Kosten für existenzsichernde Löhne und grundlegende Arbeitsschutzmaßnahmen weisen diese regelmäßig tatsächlich als lächerlich gering aus. Auch beim Lieferkettengesetz rechnet die EU Mehrkosten von gerade einmal 0,005% des Jahresumsatzes vor. Auch Prof. Achim Truger von den hochangesehenen „Wirtschaftswaisen“ hält den Alarmismus in diesem Kontext für realitätsfremd und spricht von "typischem Lobbyverhalten“. Diese organisierte Sabotage war leider erfolgreich.

Das Lieferkettengesetz wird zwar deutsche Unternehmen auch im Ausland verpflichten, bei Menschenrechtsverletzungen ihrer direkten Zuliefererbetriebe aktiv zu werden und wird Vertretungsklagen durch NGOs vor deutschen Gerichten ermöglichen. Doch für einen effektiven Menschenrechtsschutz bräuchte es deutlich mehr, u.a. jene Regelungen, die erfolgreich gekippt wurden. So werden keine zivilrechtlichen Schadensersatzforderungen möglich sein, das Gesetz bezieht sich nicht mehr auf die gesamte Lieferkette, es betrifft nur noch Großunternehmen und es soll erst ab 2023 Anwendung finden. Viola Wohlgemuth von Greenpeace spricht in diesem Zusammenhang deutlich von einem zahnlosen Tiger und Wirtschaftsverbänden, die Peter Altmaiers „Stift geführt“ hätten.

Das Lieferkettengesetz sollte ein Mindeststandard für ein Land und eine Staatengemeinschaft sein, das sich u.a. den globalen Menschenrechtsschutz auf die Fahnen schreibt und nur ein kleiner Schritt für eine bitter nötige, sozialökonomische Transformation. Wenn man sich die kollidierenden Interessen klar vor Augen hält, wirkt das lange Hinauszögern, das Verschmähen und Demontieren nicht verwunderlich.  Die Interessen kollidieren zwar entlang traditioneller Linien ökonomischer und sozialer Macht und gut organisierte Lobbygruppen aus privilegierten schichten bilden die Speerspitze der Reaktion, aber es sind nicht nur „die da oben“, die als „Status Quo Warriors“ auftreten. Komplexe Verquickungen aus Gewohnheiten, sozialen Bedürfnissen und Anforderungen lassen sehr heterogene Kollektive ausbeuterische Konsummuster immer wieder reproduzieren und in einem Zustand kognitiver Dissonanz verweilen. Soziale Normen und Institutionen machen es für das postindustrielle Individuum nur mit größtem Aufwand (eine Art Austeigerleben) möglich, tatsächlich größtenteils aus den Kreisläufen der „imperialen Lebensweise“ auszubrechen. Für eine wissenschaftliche Analyse dieser Phänomene und weitere Erkenntnisse zu den hier angeschnittenen Themen empfehle ich Stephan Lessenichs Buch „Neben uns die Sintflut“, „Imperiale Lebensweise“ von Brand/Wissen und Degrowth-Theoretiker:innen wie Nico Paech.

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